Ist MS vererbbar – Wir erklären den Einfluss der Genetik

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Claudia Barredo

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Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die in einigen Familien etwas häufiger vorkommt als in anderen. Viele Menschen sind unsicher, ob es sich bei der MS nun um eine genetisch bedingte Krankheit handelt, oder ob bei MS die Vererbung überhaupt eine Rolle spielt. Gerade für MS-Betroffene mit Kinderwunsch ist die Frage, ob die MS als Krankheit vererbbar ist, von entscheidender Bedeutung.

Dieser Artikel widmet sich daher unter anderem folgenden Fragen: Ist MS genetisch bedingt bzw. vererbbar? Wie sehr ist das Risiko, an MS zu erkranken, erhöht, wenn ein Familienmitglied an MS leidet? Und kann man bei familiärer Vorbelastung selbst der MS vorbeugen?

Unabhängig davon, ob in Ihrer Familie MS vorkommt, sollten Sie bei möglichen Frühzeichen einer MS, wie Sehstörungen, Lähmungen oder Missempfindungen, nächstmöglich eine neurologische Praxis oder eine Notaufnahme aufsuchen.

Inhalt

Multiple Sklerose und die Genetik

Die Multiple Sklerose weist in Bezug auf eine mögliche Vererbung einige Besonderheiten auf. Sie ist keine klassische Erbkrankheit, wie zum Beispiel die Mukoviszidose, die Rot-Grün-Schwäche oder die Bluterkrankheit (Hämophilie). Bei diesen Erkrankungen spielt allein die Vererbung eine Rolle bei der Entstehung einer Krankheit. Dennoch ist die Genetik bei MS nicht irrelevant. Zum Ausbrechen der Erkrankung sind sowohl eine genetische Veränderung als auch auslösende Umweltfaktoren notwendig. Es gibt daher kein konkretes Gen, das die MS auslöst und vererbt und/oder getestet werden kann. Dennoch tritt MS in bestimmten Familien gehäufter auf als in der Allgemeinbevölkerung.

Auch, wenn die Multiple Sklerose an sich nicht vererblich ist, kann eine gewisse Veranlagung vererbt werden. Die Hauptrolle zur Auslösung der Erkrankung scheinen jedoch zusätzliche Umweltfaktoren, wie Rauchen oder Vitamin-D-Mangel in der Kindheit, zu spielen, die bislang noch nicht abschließend geklärt sind. Auch Virusinfektionen, wie eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus, dem Erreger des Pfeiffer’schen Drüsenfiebers (Infektiöse Mononukleose), stehen im Verdacht, am Ausbrechen der MS beteiligt zu sein.

In unserem Übersichtsartikel zur Multiplen Sklerose informieren wir Sie über die Ursachen und Behandlung von MS.

Wenn ein Elternteil an MS erkrankt ist

MS-Risiko eines Kindes erkrankter Eltern

Für MS-Erkrankte mit Kinderwunsch sowie an MS erkrankte werdende Eltern steht in der Regel eine Frage im Vordergrund: Ist die MS erblich und wird mein Kind ebenfalls an MS erkranken?

Diesbezüglich können Betroffene ein wenig aufatmen. Die Normalbevölkerung hat ein allgemeines MS-Risiko von 0,1 Prozent, also einer von 1000. Nach aktueller Forschungslage ist das Risiko leiblicher Kinder eines MS-erkrankten Elternteils zwar im Vergleich dazu etwas erhöht. Diese Erhöhung ist jedoch verhältnismäßig gering.

Ist ein Elternteil an MS erkrankt, so beträgt das Risiko des Kindes, im Laufe seines Lebens an MS zu erkranken, etwa zwei bis drei Prozent. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass 97 bis 98 Prozent der Kinder nicht erkranken. Dabei spielt es keine Rolle, ob Mutter oder Vater erkrankt ist.

Leiden jedoch beide Elternteile an MS, so liegt das Risiko, dass leibliche Kinder erkranken, immerhin bei etwa 20 Prozent. Das bedeutet, dass eines von fünf Kindern erkrankt, während vier von fünf Kindern gesund sind.

Auch, wenn die MS keine klassische Erbkrankheit ist, können betroffene Eltern mit Kinderwunsch eine genetische Beratung in Anspruch nehmen. Eine solche Beratung bieten zum Beispiel medizinische Hochschulambulanzen, aber auch niedergelassene Praxen für Humangenetik, an.

MS und Schwangerschaft

Einer Schwangerschaft steht die Multiple Sklerose normalerweise nicht im Weg. Während der Dauer der Schwangerschaft scheinen viele Schwangere sogar an weniger Krankheitsschüben zu leiden. Schwangere sollten die Schwangerschaft jedoch wenn möglich geplant angehen und die Empfängnis in einer Phase mit niedriger Krankheitsaktivität anstreben. Kurz vor und während einer Schwangerschaft werden die meisten verlaufsmodifizierenden MS-Medikamente nicht empfohlen, können jedoch unter Abwägung von Nutzen und Risiken unter Umständen weiter eingenommen werden.

Lassen Sie sich unbedingt gründlich von Ihrem behandelnden Neurologen bzw. Ihrer Neurologin beraten, sobald Sie planen, Verhütungsmittel abzusetzen. Dies ist wichtig, da einige der Medikamente Risiken für das ungeborene Kind darstellen können. Eigenständiges Absetzen ohne ärztliche Rücksprache kann bei Ihnen zu vermehrten Auch Ihre gynäkologische Praxis sollte über die Erkrankung Bescheid wissen, um die Vorsorge umfassend gestalten zu können.

Die meisten nicht-medikamentösen Therapieformen können Sie auch während Schwangerschaft und Stillzeit fortführen.

Familiäre Häufung von Multipler Sklerose

Obwohl die Multiple Sklerose keine genetisch bedingte Erbkrankheit im eigentlichen Sinne ist, tritt sie in betroffenen Familien doch etwas häufiger auf als in der gesunden Allgemeinbevölkerung. Das Risiko für die einzelnen Familienmitglieder erhöht sich mit der biologischen Nähe der verwandtschaftlichen Beziehung zum bzw. zur MS-Erkrankten.

Das niedrigste Risiko haben Cousins eines bzw. einer MS-Betroffenen. Ihr Risiko, an MS zu erkranken, liegt bei etwa 0,7 Prozent, im Gegensatz zu 0,1 Prozent bei der Normalbevölkerung. Das Risiko älterer oder jüngerer Geschwister von MS-Erkranken ist mit 3,5 Prozent ebenfalls nur geringfügig erhöht.

Eineiige Zwillingsgeschwister, die also genetisch identisch mit dem bzw. der Erkrankten sind, erkranken in etwa 25 Prozent, also einem Viertel der Fälle. Dies bedeutet konkret, dass bei vier eineiigen Zwillingspaaren bei einem Paar beide Zwillinge an MS leiden. Bei den anderen drei Paaren ist ein Zwilling erkrankt, während der andere Zwilling gesund ist. Auch, wenn sich ein Viertel erst einmal nach viel anhört: In knapp drei Viertel der Fälle erkranken eineiige Zwillingsgeschwister nicht, obwohl ihr Erbmaterial identisch zu dem des Erkrankten ist. Dies spricht dafür, dass die Multiple Sklerose zwar durch eine genetische Veranlagung begünstigt werden kann, dass aber die Genetik alleine nicht zur Erkrankung führt.

Möglichkeiten der Vorbeugung von MS bei familiärer Vorbelastung

Da genaue MS auslösende Umweltfaktoren bislang nicht definiert werden konnten, ist es leider nicht möglich, MS effektiv vorzubeugen. Ebenso wenig ist möglich, bei sich oder bei gesunden Kindern das Vorliegen einer Veranlagung für MS testen zu lassen, geschweige denn herauszufinden, ob die Krankheit zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich ausbrechen wird. Da es kein spezielles Gen gibt, durch das die MS sicher vererbbar ist, gibt es auch keinen bestimmten genetischen Test.

Familienmitglieder MS-Betroffener können jedoch versuchen, einen möglichst gesunden Lebensstil zu pflegen. Dazu gehören eine gesunde, ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung und Sport sowie ein möglichst stressfreier Alltag. Speziell im Falle der MS kann außerdem bereits im Kindesalter auf eine ausreichende Vitamin-D-Zufuhr geachtet werden. Hierzu gehört tägliche Bewegung an der Sonne. Hierbei sollten Eltern jedoch auf geeigneten Sonnenschutz und die Vermeidung von Sonnenbränden achten. Bei Unsicherheiten und/oder einer geographisch bedingten unzureichenden Vitamin-D-Versorgung können (Kinder-)Ärzte und Ärztinnen beratend weiterhelfen.

Bei naher Verwandtschaft und Sorge der Einzelnen können Neurologen und Neurologinnen individuell beraten, ob regelmäßige Bildgebungen des Nervensystems zur Kontrolle sinnvoll sein könnten.

Quellen:

Kompetenznetz MS: Qualitätshandbuch MS / NMOSD

Nature Reviews Neurology: Multiple sclerosis and pregnancy in the ‚treatment era‘

Dr. med. Rainer Grass: Ist MS vererbbar?

Ärztezeitung: Multiple Sklerose: Neue Einblicke in die Genetik bei MS

Wissen in der Box: MS vererbbar

Die MS als Krankheit ist nicht vererbbar. Allerdings ist eine gewisse Veranlagung für die MS genetisch bedingt. Kommen auslösende Umweltfaktoren hinzu, so kann die Erkrankung ausbrechen.

Leidet ein Elternteil an MS, so ist das Risiko der Kinder, an MS zu erkranken, nur geringfügig erhöht und liegt bei etwa drei Prozent. Leiden beide Eltern an MS, so erkrankt im Schnitt jedes fünfte Kind.

Je enger die biologische Verwandtschaft, desto gehäufter tritt die MS auf. Geschwister und Cousins haben ein verhältnismäßig geringes Risiko, eineiige Zwillinge ein höheres von etwa 25 Prozent.

Eine effektive Vorbeugung ist bislang leider nicht möglich. Ebenso wenig gibt es bei genetischer Vorbelastung einen MS Test. Ein gesunder Lebensstil mit ausreichend Vitamin D sollte jedoch Ziel sein.