Pflegegrad bei Behinderung: Antrag und Voraussetzungen

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Dipl. Ges. Oec. (FH) Jennifer Ann Steinort

Fachjournalistin für Medizin und Gesundheit

Inhalt

Während einige Menschen mit einer Behinderung ihren Alltag weitestgehend ohne fremde Hilfe bewältigen, sind andere auf eine intensive Unterstützung angewiesen. Grund für die Behinderung können körperliche, geistige oder seelische Einschränkungen sein. Sie führen nicht automatisch zu einer Pflegebedürftigkeit, allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit dafür mit dem Grad der Behinderung an. Die Zuteilung eines Pflegegrades kann dann den Alltag von Menschen mit Behinderung vereinfachen.

Wir verraten Ihnen, wann es sich lohnt, einen Pflegegrad zu beantragen, und welche Voraussetzungen Sie mitbringen müssen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Menschen mit einer Behinderung sind nicht automatisch pflegebedürftig.
  • Sind Betroffene auf die Hilfe anderer angewiesen, bietet sich die Überprüfung der Pflegebedürftigkeit an.
  • Eine Voraussetzung für die Zuteilung eines Pflegegrades ist, dass die Pflegebedürftigkeit von Dauer ist.
  • Bei der Pflegekasse können behinderte Menschen einen „Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung“ stellen.
  • Bei der Pflegebegutachtung stellen Gutachter des Medizinischen Dienstes fest, inwieweit die Selbstständigkeit eingeschränkt ist.
  • Die bei der Pflegebegutachtung gesammelten Punkte entscheiden über den Pflegegrad.
  • Je nach Höhe des Pflegegrades stehen behinderten Menschen unterschiedliche Pflegekassen-Leistungen zu.

Was ist ein Pflegegrad?

Die Pflegekasse sieht verschiedene Leistungen für pflegebedürftige Menschen vor. Dazu zählen unter anderem die wichtigen Säulen für die häusliche Pflege, das Pflegegeld und die Pflegesachleistungen. Betroffene können in Anlehnung an den vorliegenden Pflegebedarf von unterschiedlichen „Maßnahmenpaketen“ profitieren. Dazu ist es aber zunächst wichtig, die Pflegebedürftigkeit abzubilden. Das gelingt mit dem Pflegegrad. In Zusammenarbeit mit Gutachtern teilt die Pflegekasse Antragstellern einen von insgesamt fünf Pflegegraden zu. Wer einen anerkannten Pflegegrad besitzt, kann im Anschluss die für diesen vorgesehenen Leistungen beanspruchen.

Ausschlaggebend für die Höhe des Pflegegrades ist übrigens der Grad der Selbstständigkeit:

  • Pflegegrad 1 = geringe Beeinträchtigung der Selbständigkeit[1]
  • Pflegegrad 2 = erhebliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit1
  • Pflegegrad 3 = schwere Beeinträchtigung der Selbständigkeit1
  • Pflegegrad 4 = schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit1
  • Pflegegrad 5 = schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung.

Gut zu wissen!

Die Pflegegrade sind vergleichsweise neu. Bis zum Jahr 2017 haben die Pflegestufen das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit abgebildet. Mit der Umstellung auf die Pflegegrade werden nun Menschen mit psychischen Einschränkungen oder geistigen Behinderungen besser berücksichtigt.

Warum sollten behinderte Menschen einen Pflegegrad beantragen?

Jemand, der Leistungen der Pflegekasse beanspruchen möchte, benötigt zwangsläufig einen Pflegegrad. Schließlich kann die Pflegekasse so nachhalten, ob und welcher Unterstützungsbedarf vorliegt. Nach Zuteilung des Pflegegrades erhalten Betroffene Zugriff auf unterschiedliche Unterstützungsangebote.

Dazu zählen:

Achtung: Nicht alle Pflegeleistungen stehen Ihnen ab Pflegegrad 1 zur Verfügung. Beispielsweise die Beanspruchung der Pflegesachleistungen oder des Pflegegeldes ist erst ab Pflegegrad 2 möglich.

Checkliste: Überprüfen Sie, ob Ihr Angehöriger einen Pflegegrad benötigt

Grundsätzlich bietet sich die Beantragung eines Pflegegrades für alle Menschen an, die regelmäßig auf Unterstützung anderer Personen angewiesen sind. Das ist bei vorliegenden Behinderungen häufig der Fall.

Folgende Fragen helfen Ihnen dabei, einzuschätzen, ob Ihr Angehöriger von einem Pflegegrad profitieren könnte.

  1. Benötigt Ihr Familienmitglied Unterstützung beim Ankleiden?
  2. Ist Ihr Angehöriger bei der Nahrungsaufnahme auf Hilfe angewiesen, beispielsweise, um die Nahrung zu zerkleinern oder zuzubereiten?
  3. Schafft es Ihr Familienmitglied nicht alleine, sich zu mobilisieren, zum Beispiel aufzustehen, die Treppen zu gehen oder das Haus zu verlassen?
  4. Ist die Körperpflege nur mithilfe von außen möglich?
  5. Fallen Ihrem Angehörigen selbst einfache Tätigkeiten im Haushalt, die Pflege sozialer Kontakte oder die Wahrnehmung von Arztterminen schwer?

Wenn Sie eine oder mehrere Fragen mit „Ja“ beantworten, deutet das darauf hin, dass bei Ihrem Familienmitglied ein Unterstützungsbedarf besteht – die Beantragung eines Pflegegrades ist in dem Fall sinnvoll. Nur Mut! Der Antrag auf einen Pflegegrad ist kostenlos, die Pflegekasse steht Ihnen bei allen Fragen zur Seite.

Pflegegrad bei Behinderung: Voraussetzungen

Um Zugang zu den Pflegekassen-Leistungen zu erhalten, ist ein Pflegegrad erforderlich. Dieser wird jedoch nur unter folgenden Voraussetzungen zugeteilt:

  • es liegt eine im § 15 SGB XI festgelegte Schwere der Pflegebedürftigkeit vor (die im Pflegegutachten ermittelten Punkte sind ausschlaggebend).
  • die Pflegebedürftigkeit besteht auf Dauer, voraussichtlich über wenigstens 6 Monate hinweg.
  • der Versicherte hat in den vergangenen 10 Jahren, bevor er den Antrag gestellt hat, mindestens 2 Jahre in die Pflegeversicherung eingezahlt oder aber war familienversichert.[1]

Wie wird eine Pflegebedürftigkeit bei Behinderung festgestellt?

Beweise wie ärztliche Bescheinigungen oder Krankenhausberichte reichen nicht aus, um die Pflegebedürftigkeit nachzuweisen. Für die Zuteilung eines Pflegegrades ist die Einschränkung der Selbstständigkeit entscheidend – diese ermittelt die Pflegekasse mithilfe des Medizinischen Dienstes (gesetzlich Versicherte) oder mithilfe der MEDICPROOF GmbH (Privatversicherte). Bei der sogenannten Pflegebegutachtung kommen Gutachter, zum Beispiel des Medizinischen Dienstes, in das häusliche Umfeld des Pflegebedürftigen und prüfen in insgesamt sechs unterschiedlich gewichteten Modulen die verbliebene Selbstständigkeit.

  1. Mobilität
  2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
  3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
  4. Selbstversorgung
  5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen
  6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

Daraus ergibt sich ein Punktwert, der letztendlich auf den nötigen Pflegegrad hinweist.

  • Ab 12,5 bis unter 27 Punkte = Pflegegrad 1
  • Ab 27 bis unter 47,5 Punkte = Pflegegrad 2
  • Ab 47,5 bis unter 70 Punkte = Pflegegrad 3
  • Ab 70 Punkte bis unter 90 Punkte = Pflegegrad 4
  • Ab 90 bis unter 100 Punkte = Pflegegrad 5

Gut zu wissen!

Die Pflegebegutachtung läuft bei behinderten Kindern, die das 11. Lebensjahr erreicht haben, grundsätzlich so wie bei Erwachsenen ab. Bei jüngeren Kindern gibt es aber einige Sonderregelungen. Eine davon betrifft Kinder, die noch keine 18 Monate alt sind – sie erhalten grundsätzlich einen Pflegegrad mehr.

So bereiten sich behinderte Menschen am besten auf die Pflegebegutachtung vor

Die Pflegebegutachtung ist für Betroffene oft eine spannende Angelegenheit, ein bisschen Nervosität gehört also dazu. Befürchtungen, dass der Gutachter Ihrem Angehörigen womöglich einen viel zu niedrigen Pflegegrad zuteilt oder den Haushalt kritisch beäugt, müssen Sie aber nicht haben. Der Gutachter hat das vorrangige Ziel, pflegebedürftigen Menschen die Leistungen zukommen zu lassen, die sie benötigen. Um dem Gutachter einen guten Überblick zu verschaffen, können Sie sich auf die Pflegebegutachtung vorbereiten.

Legen Sie am besten folgende Dokumente bereit:

  • Schwerbehindertenausweis, falls vorhanden
  • Arzt- oder Krankenhausberichte
  • Pflegedokumentationen, zum Beispiel in Form eines Pflegetagebuches
  • Medikamentenliste
  • Überblick über bisher verwendete Hilfsmittel

Übrigens: Menschen, die begutachtet werden, fühlen sich oft wohler, wenn eine nahestehende Person dabei ist. Diese kann weitere Auskünfte zu der Pflegesituation geben und dem Gutachter konkrete Fragen stellen.

Pflegegrad bei Behinderung beantragen: Schritt-für-Schritt-Anleitung

Einen Pflegegrad können Sie innerhalb weniger Wochen erhalten. Wir haben Ihnen die wichtigsten Schritte zusammengefasst, damit die Pflegegrad-Beantragung bei Behinderung reibungslos funktioniert.

  1. Pflegekasse kontaktieren: Wenn Sie sich dazu entschlossen haben, einen Pflegegrad bei Behinderung zu beantragen, können Sie Kontakt mit der Pflegekasse aufnehmen. Diese händigt Ihnen das Formular mit dem Namen „Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung“ aus. Viele Pflegekassen bieten das Dokument auch bereits als Download auf der Webseite an. Füllen Sie das Dokument vollständig aus und vergessen Sie die Unterschrift nicht. Senden Sie den Antrag anschließend an die Pflegekasse.
  2. An Pflegebegutachtung teilnehmen: Sobald die Pflegekasse Ihren Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung vorliegen hat, beauftragt sie den Medizinischen Dienst. Dieser wiederum entsendet einen Gutachter, nach vorheriger Terminvereinbarung, in das häusliche Umfeld des Antragstellers. Hier erfolgt nun die Pflegebegutachtung.
  3. Sich in Geduld üben: Der Gutachter übermittelt nach seinem Besuch die Ergebnisse der Pflegebegutachtung an die Pflegekasse. Diese teilt nach der Prüfung einen Pflegegrad zu. Innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Antragstellung erhalten Sie eine schriftliche Benachrichtigung der Pflegekasse.

Sie brauchen Unterstützung bei der Beantragung? Hier erhalten Sie Hilfe

Pflegekassen-Formulare sind nicht für jede Person gleichermaßen verständlich. Tatsächlich kann sich das Ausfüllen verschiedener Anträge als kompliziert erweisen. Können Sie Begriffe nicht einordnen oder sind Ihnen die späteren Kombinationsmöglichkeiten nicht klar, können Sie sich Unterstützung holen. Die Pflegekasse, Pflegestützpunkte und Pflegeberatungsstellen stehen Ihnen zur Seite. Sie wissen nicht, wo in Ihrer Nähe eine entsprechende Anlaufstelle ist? Dann nutzen Sie am besten die Onlinesuche des Zentrums für Qualität in der Pflege. Privatversicherte werden auf den Seiten der privaten Krankenversicherung fündig.[1]

Kann ich trotz eines Schwerbehindertenausweises einen Pflegegrad beantragen?

Ein Schwerbehindertenausweis und ein Pflegegrad schließen sich nicht gegenseitig aus. Ganz im Gegenteil: Wenn Sie einen Schwerbehindertenausweis haben, ist die Beantragung eines Pflegegrades sinnvoll. Schließlich liegt hier offensichtlich eine Einschränkung der Selbstständigkeit vor. Besitzen Sie bereits einen Pflegegrad, sollten Sie auch prüfen, ob ein Schwerbehindertenausweis für Sie infrage kommt. Mehr Informationen rund um das Thema Pflegebedürftigkeit können Ihnen beispielsweise die Pflegekasse oder ein Pflegestützpunkt in Ihrer Nähe geben.

Diese Leistungen stehen Menschen mit Pflegegrad bei Behinderung zu

Wenn Sie sich mit Leistungen der Pflegekasse beschäftigen, stellen Sie fest, dass es viele verschiedene Unterstützungsangebote gibt. Sie alle haben das Ziel, die Selbstständigkeit des Pflegebedürftigen zu fördern bzw. den Pflegealltag zu erleichtern. Da Betroffene mit zunehmender Pflegebedürftigkeit mehr Unterstützung benötigen, gibt es einige Leistungen erst ab einem höheren Pflegegrad. Außerdem ist das zur Verfügung stehende Budget an den Pflegegrad angepasst. Grundsätzlich gilt: Je höher der Pflegebedarf, desto höher fallen die Leistungen aus. Die folgende Tabelle zeigt Ihnen, was Ihnen mit welchem Pflegegrad gesetzlich zusteht. Bitte beachten Sie, dass Sie für die Inanspruchnahme einzelner Angebote einen entsprechenden Antrag stellen müssen, zum Beispiel für die Kurzzeitpflege, für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen oder für Pflegehilfsmittel.

Abbildung 1: Überblick über Pflegekassen-Leistungen nach Pflegegrad. Quelle: Pflege: Übersicht der Tätigkeiten, Leistungen, Pflegegraden (lintforter-pflegeteam.de)

Gut zu wissen!

Beschäftigen Sie sich unbedingt mit weiteren Entlastungsmöglichkeiten wie dem Behinderten-Pauschbetrag oder dem Pflege-Pauschbetrag, den Sie bei der Steuererklärung angeben können.

5 Tipps für einen Pflegegrad bei Behinderung

  1. Beantragen Sie den Pflegegrad rechtzeitig. Pflegekassen-Leistungen können den Alltag sinnvoll entlasten. Dafür müssen Sie aber zunächst einen Pflegegrad besitzen. Zögern Sie nicht, einen entsprechenden Antrag zu stellen.
  2. Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Leistungen. Spätestens, wenn Sie den Pflegegrad zugeteilt bekommen haben, beschäftigen Sie sich am besten mit den verschiedenen Leistungsangeboten. Bei Fragen können Sie sich jederzeit an die Pflegekasse wenden.
  3. Kombinieren Sie die Unterstützungsangebote miteinander: Menschen mit Behinderungen haben nicht selten einen intensiven Pflegebedarf. Anstatt ausschließlich das Pflegegeld zu beanspruchen, können Betroffene auch eine Kombination mit den Pflegesachleistungen in Betracht ziehen. Der Entlastungsbetrag und die Verhinderungspflege unterstützen auch Angehörige.
  4. Überprüfen Sie regelmäßig den Pflegebedarf: Der Pflegebedarf ändert sich bei vielen Menschen mit der Zeit – entweder, weil das Alter oder eine Erkrankung voranschreitet. Ändert sich etwas an dem Pflegebedarf, können Sie einen Höherstufungsantrag bei der Pflegekasse stellen.
  5. Informieren Sie sich über Neuigkeiten: Das Pflegegesetz ist nicht in Stein gemeißelt, oft gibt es Änderungen – davon können auch Pflegebedürftige und Angehörige profitieren. Verfolgen Sie daher aufmerksam die Medien, um von geplanten Änderungen zu erfahren.

Wissen in der Box: Pflegegrad bei Behinderung

Personen mit einer Behinderung können einen Antrag auf einen Pflegegrad bei der Pflegekasse stellen. Dafür ist das Formular „Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung“ nötig.

Nein, behinderte Menschen können sowohl einen Pflegegrad als auch einen Schwerbehindertenausweis besitzen.

Sind Betroffene auf die Unterstützung von außen angewiesen, um ihren Alltag zu bewältigen, ist es in jedem Fall empfehlenswert, einen Pflegegrad bei der Pflegekasse zu beantragen.

Zum einen muss die Pflegebedürftigkeit von Dauer, voraussichtlich mindestens sechs Monate, sein. Außerdem muss eine gewisse Schwere vorliegen. Nicht zuletzt müssen Betroffene in den letzten 10 Jahren mindestens 2 Jahre in die Pflegeversicherung eingezahlt haben bzw. familienversichert gewesen sein.

Quellen:

Pflegegrade (vdek.com)
Pflegegrade (bundesgesundheitsministerium.de)
Pflegegrad beantragen – so geht’s | Verbraucherzentrale.de