Reflexinkontinenz – Wenn Nerven und Harnblasenmuskulatur nicht richtig zusammenarbeiten

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Ramona Rühl (Pflegewissenschaftlerin)

Fachjournalistin für Pflege und Gesundheit

Inhaltsverzeichnis

Wenn die Nervenbahnen zwischen Gehirn und Rückenmark beschädigt sind, die für die Steuerung der Blasenfunktion zuständig sind, kommt es zu einer Reflexinkontinenz. Dabei geht die Kontrolle über die Blasen- und Schließmuskelfunktion teilweise oder vollständig verloren. Die Blase entleert sich, ohne dass Betroffene darauf Einfluss nehmen können.

Erfahren Sie in diesem Artikel mehr über die Reflexinkontinenz, deren Ursachen und Symptome sowie Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten. Sie erhalten Tipps für die Pflege eines Betroffenen und eine Übersicht zu Hilfsmitteln, die den Alltag mit Reflexinkontinenz erleichtern. Am Ende des Artikels finden Sie Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene und Angehörige.

Reflexinkontinenz: Definition

Nervenbahnen steuern die Muskulatur der Harnblase und regulieren dadurch die regelmäßige Entleerung der Blase. Die Nerven leiten Impulse von Gehirn und Rückenmark an die Muskulatur und den Schließmuskel der Blase weiter. Die Impulse bestehen für die Muskulatur aus den Befehlen „Entspannung“ oder „Anspannung“. Dadurch ist es möglich, die Blasenentleerung bewusst zu beeinflussen.

Die Reflexinkontinenz beruht auf einer Erkrankung, Fehlbildung oder Verletzung der Teile des Nervensystems oder des Gehirns, die für die Steuerung der Blasenfunktion zuständig sind. Dadurch arbeiten die Nervenbahnen und die Muskulatur der Harnblase und der Schließmuskel nicht richtig zusammen. Betroffene verspüren keinen Harndrang, auch wenn die Blase mit Urin gefüllt ist. Die Harnblase entleert sich, ohne dass Betroffene darauf Einfluss nehmen können.

 

Die Reflexinkontinenz wird häufig auch „neurogene Blase“ genannt. Diese Form der Harninkontinenz kommt im Vergleich zu anderen Inkontinenzformen, wie etwa der Belastungsinkontinenz oder Dranginkontinenz, seltener vor.

Je nachdem, an welcher Stelle des Nervensystems die ursächliche Erkrankung, Fehlbildung oder Verletzung ist, wird in zwei Formen der Reflexinkontinenz unterschieden:

  • Supraspinale Reflexinkontinenz:
    Die Reflexinkontinenz besteht aufgrund einer Schädigung des Gehirns
  • Spinale Reflexinkontinenz:
    Die Reflexinkontinenz besteht aufgrund einer Schädigung der Nervenbahnen im Rückenmark

Reflexinkontinenz: Ursachen

Bei den folgenden Krankheiten kann es durch eine Schädigung der Hirnbereiche, die für die Steuerung der Blasenfunktion zuständig sind, zu einer Reflexinkontinenz kommen:

  • Demenz
  • Parkinson
  • Schlaganfall

Folgende Erkrankungen oder Verletzungen des Rückenmarks können zu einer Reflexinkontinenz führen:

  • Multiple Sklerose
  • Querschnittlähmung

Reflexinkontinenz: Symptome

Bei dieser Form der Harninkontinenz geht das Gefühl dafür verloren, wann die Blase gefüllt ist. Dadurch spüren Betroffene keinen Harndrang, auch wenn die Blase voll ist. Die Folge: Die Blasenmuskulatur zieht sich durch einen Reflex zusammen und es kommt zu einer plötzlichen Blasenentleerung, die durch Betroffene nicht gesteuert werden kann.

Reflexinkontinenz: Diagnostik

Wenn Sie den Verdacht haben, dass Sie oder Ihr Angehöriger eine Form der Inkontinenz haben, sollte das ärztlich abgeklärt werden. Ihr erster Ansprechpartner kann zunächst der Hausarzt, bzw. die Hausärztin sein. Die weitere Abklärung sollte von Fachärzten übernommen werden. Dies sind bei Inkontinenz in erster Linie:

  • Urologen: Fachärzte für Erkrankungen der Nieren, Harnleiter und Harnblase, der Prostata und Harnröhre
  • Gynäkologen: Fachärzte für Frauenheilkunde

Wenn der Verdacht auf eine Reflexinkontinenz besteht, sind Neurologen (Fachärzte für Nervenheilkunde) aufgrund der neurologischen Grunderkrankung ebenfalls an der Diagnostik und Therapie beteiligt.

Gut zu wissen!
Bundesweit gibt es urologische Zentren mit dem Schwerpunkt Neuro-Urologie“, die auf die Diagnostik und Therapie der Reflexinkontinenz spezialisiert sind.

Folgende Untersuchungsmethoden können zur Abklärung einer Reflexinkontinenz u.a. eingesetzt werden:

  • Urinuntersuchung
  • Ultraschalluntersuchung der Blase und Harnröhre
  • Restharnmessung
  • Messung der Blasenfunktion (Urodynamische Untersuchung)
  • CT (Computertomografie)
  • MRT (Magnetresonanztomografie)

Gut zu wissen!
Für den ersten Arztbesuch ist es hilfreich, vorher ein sogenanntes „Miktionsprotokoll“ zu führen. Darin schreibt man drei Tage lang die Trinkmenge, die Toilettenbesuche, die Urinmenge und unwillkürliche Urinverluste auf.

Reflexinkontinenz: Therapie

Mit der Behandlung der Reflexinkontinenz können mehrere Ziele verfolgt werden:

  • Schutz der Nieren, damit ihre Funktionsfähigkeit erhalten bleibt. Der Urin kann einen hohen Druck in der Blase erzeugen und einen Rückstau zu den Nieren verursachen. Die Nieren können dadurch einen Schaden nehmen. Deshalb ist der Schutz der Nieren ein wichtiges Therapieziel bei Reflexinkontinenz.
  • Vermeidung von Blasenentzündungen: Bei einer Reflexinkontinenz bleibt der Urin länger als gewöhnlich in der Blase. Dadurch steigt das Risiko für Blasenentzündungen.
  • Verbesserung der Kontinenz. Ziel der Therapie kann es sein, die Steuerung der Blasenentleerung zu verbessern.
  • Verbesserung der Lebensqualität. Viele Betroffene schämen sich für die Inkontinenz. Sie haben oft die Sorge, dass sie unangenehm riechen. Das kann dazu führen, dass sie sich aus dem sozialen Leben mehr und mehr zurückziehen. Bei der Behandlung der Reflexinkontinenz können Betroffene lernen, besser mit der Erkrankung umzugehen.

Gut zu wissen!
Die Wahl der Therapie richtet sich hauptsächlich danach, welche Grunderkrankung zur Reflexinkontinenz geführt hat. Informieren Sie sich über die unterschiedlichen Therapieoptionen und lassen Sie sich die jeweiligen Vor- und Nachteile vom Arzt erklären.

Folgende Behandlungsmöglichkeiten stehen u.a. zur Verfügung:

  • Toilettentraining: Ein Übungsprogramm, in dem Betroffene lernen, wann und wie oft sie zur Toilette gehen sollten. Da der Harndrang nicht gespürt wird, wird die Toilette in regelmäßigen Abständen
  • Medikamente: Es gibt unterschiedliche Wirkformen. Einige Medikamente regen beispielsweise die Blasenmuskulatur an.
  • Operation: Es gibt Operationsmöglichkeiten, wie zum Beispiel die Implantation eines Blasenschrittmachers, der die Muskulatur der Harnblase anregt.
  • Katheterisierung: Der Urin sammelt sich länger als gewöhnlich in der Blase. Dadurch steigt das Risiko für wiederkehrende Blasenentzündungen. Außerdem können die Nieren dadurch geschädigt werden. Damit die Blase regelmäßig und vollständig entleert wird, kann die Verwendung eines Blasenkatheters sinnvoll sein. Der Katheter wird mehrmals am Tag in die Harnblase eingeführt und der Urin abgelassen. Danach wird der Katheter wieder entfernt. Dabei ist es sehr wichtig, hygienisch vorzugehen, damit keine Keime in die Blase gelangen.

Reflexinkontinenz: Pflegerische Maßnahmen

Wieviel Unterstützung Menschen mit Inkontinenz von deren Angehörigen im Alltag brauchen, hängt im Wesentlichen vom Allgemeinzustand der Personen mit Inkontinenz ab. Grundsätzlich sollten pflegebedürftige Menschen im Alltag so viele Handgriffe wie möglich selbst übernehmen. Das trägt zu deren Beweglichkeit und Selbstvertrauen bei. Bieten Sie als Angehörige Ihre Hilfe an den Stellen an, wo es nötig ist.

Da bei einer Reflexinkontinenz immer auch eine neurologische Grunderkrankung vorhanden ist, wie zum Beispiel Demenz oder Schlaganfall, können die Fähigkeiten der Betroffenen zur selbstständigen Versorgung ohnehin eingeschränkt sein. Auf folgende Punkte ist bei der Pflege eines Menschen mit Reflexinkontinenz besonders zu achten:

  • Unterstützung oder Übernahme der Intimpflege: Dazu gehört die gründliche, aber sanfte Reinigung des Intimbereichs zur Entfernung der Urinrückstände. Bleibt der Urin länger auf der Haut, kommt es zu Hautreizungen. Nach der Reinigung kann eine Hautschutzsalbe aufgetragen werden.
  • Unterstützung bei der Ausscheidung: Betroffene können Hilfe beim Toilettengang benötigen. Wichtig ist, dass Sie frühzeitig zur Toilette gehen, Hektik vermeiden und der betroffenen Person ausreichend Zeit auf Toilette lassen. Sollte der Gang zur Toilette nicht möglich sein, kann Ihre Hilfe bei der Anwendung von Hilfsmitteln, wie zum Beispiel dem Toilettenstuhl, nötig sein.
  • Inkontinenzmaterial regelmäßig wechseln: Das Inkontinenzmaterial muss mehrmals täglich gewechselt werden. Legen Sie es in ausreichender Zahl in greifbare Nähe bereit.

Reflexinkontinenz: Hilfsmittel

Es gibt verschiedene Hilfsmittel, die den Alltag mit Reflexinkontinenz erleichtern können. Welche Produkte in Frage kommen, hängt auch hier im Wesentlichen vom Allgemeinzustand der betroffenen Person ab und wie mobil sie ist.

  • Sitzerhöhung für die Toilette: Erleichtert das Hinsetzen und Aufstehen
  • Toilettenstuhl: Kann nachts neben dem Bett stehen und auch tagsüber genutzt werden, wenn die Toilette nicht erreicht werden kann
  • Urinflasche für Männer, Urinschiffchen für Frauen: Kann für die Urinausscheidung im Bett genutzt werden
  • Bettpfanne: Kann bei bettlägerigen Personen genutzt werden

Darüber hinaus gibt es aufsaugendes und ableitendes Inkontinenzmaterial. Zum ableitenden Inkontinenzmaterial gehört beispielsweise das Kondomurinal für Männer, über das der Urin in einen Beutel abgeleitet werden kann. Zum aufsaugenden Inkontinenzmaterial gehören:

  • Einlagen
  • Vorlagen, auch speziell für Männer erhältlich
  • Windelhosen mit Klett- oder Klebestreifen
  • Inkontinenzunterhosen

Das Inkontinenzmaterial gibt es in verschiedenen Größen und Saugstärken. Wichtig ist, dass das Inkontinenzprodukt rutschfest sitzt und angenehm zu tragen ist. Es sollte gut zu händeln sein und nicht einschneiden.

Gut zu wissen!
Pflegebedürftige Personen mit Pflegegrad 1 bis 5, die zuhause leben, haben monatlich Anspruch auf Pflegehilfsmittel im Wert von bis zu 40 Euro, die auch bei Harninkontinenz nützlich sein können. Dazu gehören beispielsweise Bettschutzeinlagen, Einmalhandschuhe und Desinfektionsmittel.

Reflexinkontinenz: Unterstützung für Betroffene und Angehörige

Betroffene und Angehörige von Menschen mit Reflexinkontinenz können an verschiedenen Stellen Unterstützung und Beratung erhalten:

Wissen in der Box: Reflexinkontinenz

Wenn die Nervenbahnen zwischen Gehirn und Rückenmark beschädigt sind, die für die Steuerung der Blasenfunktion zuständig sind, kommt es zu einer Reflexinkontinenz. Dabei geht die Kontrolle über die Blasen- und Schließmuskelfunktion teilweise oder vollständig verloren.

Eine Reflexinkontinenz kann entstehen, wenn Hirnbereiche geschädigt sind, die für die Steuerung der Blasenfunktion zuständig sind. Das kann beispielsweise bei Demenz oder Parkinson der Fall sein.

 

Außerdem können Erkrankungen oder Verletzungen des Rückenmarks zu einer Reflexinkontinenz führen. Das kann beispielsweise bei Multiple Sklerose oder Querschnittlähmung der Fall sein.

Die Reflexinkontinenz wird hauptsächlich von Urologen und Neurologen diagnostiziert und behandelt. Es gibt verschiedene Behandlungsmethoden, die angewendet werden können. Darüber hinaus gibt es Hilfsmittel, die den Alltag mit Reflexinkontinenz erleichtern.

Um einen Pflegegrad zu erhalten, muss bei der Pflegekasse des Betroffenen ein Antrag gestellt werden. Der Antrag kann per E-Mai, Brief, telefonisch oder über die Homepage der Pflegekasse gestellt werden. Im Rahmen einer Begutachtung wird anschließend festgestellt, ob der Betroffene pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes ist und damit die Voraussetzungen für einen Pflegegrad erfüllt.

Quellen:
Deutsche Kontinenz Gesellschaft (2023): Harn- und Stuhlinkontinenz (Blasen- und Darmschwäche).
https://www.kontinenz-gesellschaft.de/wp-content/uploads/2023/04/Informationsbroschuere-DKG_Harn-und-Stuhlinkontinenz_03-2023.pdf (abgerufen am 30.03.2024)

Haensch, C.-A. et al. (2020): Diagnostik und Therapie von neurogenen Blasenstörungen, S1-Leitlinie. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie.
www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 30.03.2024)

Zentrum für Qualität in der Pflege (2023): Inkontinenz. Praxistipps für den Pflegealltag.
https://www.zqp.de/wp-content/uploads/ZQP-Ratgeber-Inkontinenz.pdf (abgerufen am 30.03.2024)