Harninkontinenz bei Kindern: Formen, Ursachen & Behandlung

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Dipl. Ges. Oec. (FH) Jennifer Ann Steinort

Fachjournalistin für Medizin und Gesundheit

Inhaltsverzeichnis

Das Thema Harninkontinenz betrifft nicht nur erwachsene Menschen, auch Kindern kann es schwerfallen, die Blase zu kontrollieren. Bis zu einem gewissen Alter ist das völlig normal, denn die Kontinenz ist an einen Reifeprozess gebunden. Geht bei älteren Kindern öfter etwas daneben, liegt der Verdacht einer Harninkontinenz nahe. Bei Eltern lösen die „Missgeschicke“ nicht selten sorgenvolle Gedanken aus. In den meisten Fällen ist zwar Geduld gefragt, als Belohnung winkt jedoch die Aussicht auf trockene Tage.

Wir verraten Ihnen, wie Mediziner eine kindliche Harninkontinenz erkennen und wie sie sich behandeln lässt.

Was ist Inkontinenz bei Kindern?

Sie verbinden den Begriff Harninkontinenz mit älteren Menschen? Tatsächlich steigt das Risiko für eine Inkontinenz mit dem Alter an[1], sie kann aber auch Kinder betreffen. Ungefähr 2-3 % von ihnen nässen sich mit sieben Jahren tagsüber noch ein.[2] Doch wie definieren Mediziner eine Harninkontinenz bei Kindern?

Eine Harninkontinenz bei Kindern liegt vor, wenn:

  • der Nachwuchs nach dem 5. Lebensjahr ungewollt Urin verliert und
  • das mindestens zweimal im Monat und
  • das Toilettentraining zu dem Zeitpunkt bereits abgeschlossen ist.

Das Einnässen tagsüber bezeichnen Ärzte auch als „Enuresis  diurna“.[4] Die Harninkontinenz kann alleine auftreten oder kombiniert mit dem Bettnässen (Enuresis nocturna).

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Vor Kindern liegt ein langer Weg, bis sie die Blasenkontrolle beherrschen. Dem komplexen Vorgang liegt ein Reifeprozess zugrunde, der zum Ziel hat, dass Hormone, Muskeln und Nerven zusammenarbeiten. [1] Vielen Eltern hilft es, sich mit der Physiologie der Blase zu beschäftigen, um die Vorgänge im Körper ihres Kindes zu verstehen.

Formen und Ursachen von Harninkontinenz bei Kindern

Auch wenn das Ergebnis stets gleich ist, und zwar ein unkontrollierter Harnverlust, gibt es doch verschiedene Formen des Einnässens. Einige Formen lassen sich vor allem auf genetische Ursachen zurückführen, andere Harninkontinenz-Risiken erwerben Kinder im Laufe ihres Lebens.

Verliert Ihr Nachwuchs ungewollt Urin, kann eine der folgenden Formen vorliegen:

  • Dranginkontinenz: In vielen Fällen ist diese Form anlagebedingt. Die Kinder können ihre Blase dabei nicht richtig füllen. Ihr Nachwuchs verspürt zeitnah einen Harndrang und muss vergleichsweise oft auf die Toilette – die abgegebene Urinmenge ist jedoch gering. Eine Erklärung ist, dass das Gehirn den Mechanismus nicht im ausreichenden Maße hemmt.
  • Harninkontinenz bei Miktionsaufschub: Hinter der komplexen Bezeichnung steckt ein Phänomen, das die meisten Eltern kennen. Viele Kinder vermeiden es, auf die Toilette zu gehen, damit sie ihr Spiel nicht unterbrechen müssen. Irgendwann gelingt es dem Nachwuchs aber nicht mehr, den Urin anzuhalten und die Blase entleert sich in ungewollten Situationen.
  • Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination: Vielleicht kommt es bei Ihrem Kind auch zu einer Harninkontinenz durch eine Störung des Schließmuskels. Bei der Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination öffnet sich dieser während der Blasenentleerung nicht komplett.

Neben diesen häufigen Formen gibt es solche, die Kinder eher seltener betreffen. Dazu zählt die Stressinkontinenz, bei der sich die Blase unter Druck ungewollt entleert – beispielsweise beim Niesen, Husten oder beim angestrengten Spielen. Bei der Lachinkontinenz reicht schon ein herzhaftes Kinderlachen aus, um die Blase plötzlich zu entleeren. Die unteraktive Blase, auch Lazy Bladder (zu Deutsch: faule Blase) genannt, kann ebenfalls ein Grund für „Missgeschicke“ sein. Dabei verspürt Ihr Kind nur selten einen Harndrang, die Blase ist stark vergrößert. Das führt dazu, dass Ihr Nachwuchs die Blase nicht vollständig entleeren kann.2,[1] Außerdem kann es sein, dass anatomische Fehlbildungen oder bestimmte Verhaltensweisen wie der Toilettengang bei ungünstiger Körperhaltung (mit vollständig geschlossenen Beinen bei Mädchen) die vollständige Blasenkontrolle unmöglich machen.3

Wann sollte ich mit meinem Kind zum Arzt, wenn es einnässt?

Wenn Ihr Kind nach dem 5. Lebensjahr tagsüber über mehrere Wochen hinweg ungewollt Urin verliert, ist es in jedem Fall ratsam, einen Termin bei dem Kinderarzt oder direkt beim Urologen zu vereinbaren. Nicht nur für Eltern, auch für Kinder kann sich durch die Harninkontinenz ein Leidensdruck ergeben. Ihr Nachwuchs entwickelt womöglich große Schamgefühle oder Ängste. Das kann so weit gehen, dass Kinder sorgenvoll auf eine anstehende Klassenfahrt blicken oder Geburtstagseinladungen ablehnen. Ein Arzttermin dient dazu, abzuklären, ob womöglich Fehlbildungen zu der Harninkontinenz führen – darauf deutet hin, dass der Nachwuchs tagsüber noch nie längere Zeit trocken war. Plötzliches, wiederholtes Einnässen, obwohl das Kind die Blase bereits kontrollieren konnte, kann auf Infektionen, eine psychische Belastung oder eine Verstopfung hinweisen – auch das gehört fachmännisch abgeklärt.3

Harninkontinenz bei Kindern: Diagnose

Wenn Sie einen Arzttermin vereinbart haben, fragen Sie sich bestimmt, was dabei auf Sie und Ihr Kind zukommt. Damit Sie sich besser auf den Termin vorbereiten können, gehen wir mit Ihnen die wichtigsten Diagnoseschritte durch.

  1. Arzt-Patienten-Gespräch: Um mehr über mögliche Beschwerden und die Hintergründe zu erfahren, stellt der Mediziner Ihnen und Ihrem Kind einige Fragen. Er erkundigt sich beispielsweise, wie oft etwas danebengeht und ob Ihr Kind bereits über längere Zeit trocken war. Außerdem ist von Interesse, ob Ihr Nachwuchs einen Harndrang verspürt und womöglich Schmerzen beim Urinieren hat.[1]
  2. Körperliche Untersuchung: Mit der körperlichen Untersuchung klärt der Arzt ab, ob eventuell Fehlbildungen im Urogenitaltrakt zu der Harninkontinenz führen und ob Restharn nach dem Toilettengang in der Blase verbleibt – dabei hilft ein Ultraschallgerät. Auch eine Verstopfung kann während einer Ultraschalluntersuchung sichtbar sein. Um Harnwegsinfektionen auszuschließen, wird der Urin Ihres Nachwuchses im Labor untersucht. Mit der sogenannten Uroflowmetrie erfährt der Mediziner mehr über den Harnfluss beim Toilettengang.7
  3. 48-Stunden-Protokoll: Hat der Mediziner die grundlegenden Fragestellungen geklärt, bittet er Sie, ein Protokoll zum Trink- und Toilettenverhalten zu erstellen. Dieses Protokoll legen Sie an zwei aufeinanderfolgenden Tagen an. Darin halten Sie fest, wie viel Ihr Nachwuchs wann trinkt und zu welchem Zeitpunkt die Ausscheidung stattfindet – auch hier ist die Menge entscheidend. Ebenfalls wichtig: die Erfassung der möglichen Symptome und Verhaltensweisen wie ein Brennen beim Wasserlassen oder Haltemanöver.7

Liegt eine Harninkontinenz bei Kindern vor und können Mediziner diese bisher nicht auf körperliche Ursachen zurückführen, können sie weitere Untersuchungen anordnen. Zur Überprüfung der Zucker- und Elektrolytspiegel ist eine Urinprobe bzw. Blutabnahme nötig – mit den Ergebnissen lässt sich feststellen, ob womöglich ein Diabetes mellitus zu den Beschwerden führt. Sind alle nahe liegenden körperlichen Ursachen ausgeschlossen, empfiehlt der Arzt Ihnen womöglich einen Besuch bei einem Kinder- und Jugendpsychiater, um seelische Belastungen aufzudecken und zu beheben.7,3

Wie wird Einnässen tagsüber behandelt?

Wann und wie behandelt wird, ist eine sehr individuelle Frage. Eine Harninkontinenz bei Kindern ist genauso wie bei Erwachsenen ein sensibles Thema und benötigt eine behutsame Vorgehensweise. Ihr Arzt bespricht mit Ihnen gemeinsam, welche Optionen zur Verfügung stehen. Bei einer Infektion erhalten Sie für Ihr Kind in der Regel ein Rezept für Antibiotika. Liegen Fehlbildungen vor, kann der Mediziner eine Operation in Erwägung ziehen. Ist beispielsweise eine Dranginkontinenz verantwortlich für die „Missgeschicke“, kann eine Verhaltenstherapie zum Verzicht auf Haltemanöver sinnvoll sein.[1] Besonders wichtig ist Ihr Mitwirken und das Ihres Kindes. Erzeugt das Einnässen tagsüber bei Ihrem Nachwuchs keinen Leidensdruck, ist Ihr Kind nicht reif oder bereit für den Behandlungsplan, kann es sinnvoll sein, diesen zu einem späteren Zeitpunkt in Angriff zu nehmen.3

Folgende Tabelle zeigt Ihnen mögliche Therapieansätze bei einer kindlichen Harninkontinenz.

Form/Ursachen der Harninkontinenz

Mögliche Therapieansätze

Dranginkontinenz

· Verhaltenstherapie zur Wahrnehmung und zum Nachgehen der Drangsymptome

· Führen eines Kalenders, in dem Toilettengänge ohne Einnässen und „Missgeschicke“ eingetragen werden.

· Einbeziehung von Kontaktpersonen wie Großeltern oder Erziehern

· Gegebenenfalls Medikamenteneinsatz (Oxybutinin, Propiverin)

Harninkontinenz bei Miktionsaufschub

· Aufklärung des Kindes über den Zusammenhang zwischen dem Einnässen und dem Aufschieben

· Einführung fester Toilettenzeiten

· Belohnungen (z.B. Sticker) fürs Trockenbleiben

Blasenentleerungsstörung

· Bio-Feedback-Training

· Beckenbodentraining bei Stressinkontinenz

· Blasentraining bei unteraktiver Blase

· Konditionierung und Arzneimittel bei Lachinkontinenz

Tabelle 1: Therapie der unterschiedlichen Harninkontinenz-Formen. Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an: Kontrolle der Blase und des Darms » Therapie: Einnässen tags » (neurologen-und-psychiater-im-netz.org)

Harninkontinenz bei Kindern: das können Sie als Eltern tun

Sie verbringen mit Ihrem Kind viel Zeit – dadurch ergeben sich unzählige Möglichkeiten positiv auf die Situation einzuwirken. Wie wäre es mit folgenden Tipps?

  • Haben Sie Geduld und Verständnis: Eine Harninkontinenz wirbelt den Alltag oft durcheinander – zum Beispiel durch häufige Kleidungswechsel und große Wäscheberge. Zeigen Sie Verständnis, wenn bei Ihrem Kind etwas danebengeht, und denken Sie daran, dass Schimpfen einen gegenteiligen Effekt haben kann.
  • Machen Sie Erfolge sichtbar: Ein Kalender, in dem Sie mit Symbolen sichtbar machen, wie viele trockene Tage es bereits gab, ist motivierend – nicht nur für Ihr Kind, sondern auch für Sie.
  • Passen Sie Ihren Alltag an: Den Alltag ganz nach der Harninkontinenz auszurichten, ist purer Stress. Einfacher ist es, für eine gewisse Struktur zu sorgen. Legen Sie sich bereits am Vorabend kleine Kleidungsstapel im Badezimmer zurecht, falls etwas daneben geht. Packen Sie auch hilfreiche Utensilien wie Feuchttücher und Wechselwäsche in eine „Unterwegstasche“, nach der Sie bei Bedarf greifen können.
  • Tauschen Sie sich mit Kontaktpersonen aus: Ihr Kind bekommt eine Verhaltenstherapie und auch zu Hause arbeiten Sie emsig an Erfolgen? Fragen Sie doch einmal in der Schule nach, ob Ihr Nachwuchs dort noch ein Vermeidungsverhalten zeigt.
  • Sorgen Sie für die richtige Unterstützung: Haben Sie das Gefühl, dass es etwas gibt, was Ihr Kind anhaltend bedrückt, es ängstlich oder traurig macht, ziehen Sie einen Termin bei einem Kinderpsychologen in Betracht. Womöglich gibt es tiefer liegende Ursachen für die Harninkontinenz.

Pflegebox-Tipp!

Ihr Kind besitzt einen Pflegegrad? Dann können Sie Pflegehilfsmittel zum Verbrauch im Alltag unterstützen. Dazu zählen beispielsweise Bettschutzeinlagen oder Desinfektionsmittel. Die Pflegekasse bezuschusst Ihnen die Utensilien mit bis zu 40 Euro pro Monat.

Wissen in der Box: Harninkontinenz bei Kindern

Für eine Harninkontinenz bei Kindern gibt es viele Ursachen. Mediziner können beispielsweise eine Fehlbildung im Urogenitaltrakt feststellen. Oftmals sorgt bei Kindern auch ein Aufschieben des Toilettengangs dafür, dass sie den Urin nicht mehr halten können.

Ärzte diagnostizieren dann eine Harninkontinenz bei Kindern, wenn diese unkontrolliert Urin verlieren, und zwar nach dem 5. Lebensjahr.

Mediziner behandeln eine Harninkontinenz stets mit Blick auf die zugrunde liegende Ursache. Bei einer Dranginkontinenz kann eine Verhaltenstherapie Sinn machen, bei einer Stressinkontinenz hingegen ein Beckenbodentraining.

Besonders wichtig ist, dem Kind gegenüber Geduld und Verständnis aufzubringen. Mit einem Kalender, in dem Erfolge mithilfe von Symbolen sichtbar gemacht werden, kann es gelingen, den Nachwuchs zu motivieren. Außerdem hilfreich: Einfühlsame Gespräche.

Quellen:

[1] Blasenschwäche (Harninkontinenz) | gesund.bund.de

[2] Was ist Enuresis, Inkontinenz? » Einnässen (Enuresis), Inkontinenz » Kinderkrankheiten, Kinder- und Jugendgesundheit » Startseite » Kinderaerzte-im-Netz

[3] Harninkontinenz bei Kindern – Gesundheitsprobleme von Kindern – MSD Manual Ausgabe für Patienten (msdmanuals.com)

[4] 028-026l_S2k_Enuresis-und-nicht-organische-funktionelle-Harninkontinenz_2021-12.pdf (awmf.org)

[5] Bettnässen bei Kindern – Enuresis | Gesundheitsportal

[6] Kontrolle der Blase und des Darms » Diagnostik: Einnässen » (neurologen-und-psychiater-im-netz.org)

[7] Kontrolle der Blase und des Darms » Therapie: Einnässen tags » (neurologen-und-psychiater-im-netz.org)

[8] Kontrolle der Blase und des Darms » Ursachen: Einnässen tags » (neurologen-und-psychiater-im-netz.org)