Medikamentensucht- Höhere Gefahr mit steigendem Alter
Mehr über die Autorin erfahren
Medikamente sind dazu da, Krankheiten zu heilen oder deren Symptome, wie zum Beispiel Schmerzen, zu lindern. Werden Medikamente nicht wie vorgesehen eingenommen, spricht man von Medikamentenmissbrauch. So können Medikamente zu lange eingenommen werden, die vorgesehene Dosis kann überschritten werden, die Medikamente können in einer anderen Form eingenommen werden oder zu einem anderen Zweck.
Häufig nehmen ältere Menschen mehrere unterschiedliche Medikamente über einen längeren Zeitraum ein. Eine Medikamentensucht älterer Menschen ist daher nicht selten. Die Abhängigkeit beginnt häufig schleichend und wird daher lange Zeit übersehen.
Im Folgenden wollen wir die Medikamentensucht älterer Menschen näher beleuchten und aufzeigen, auf welche Zeichen Angehörige achten sollten und wo sie Hilfe bekommen können.
Was bedeutet Medikamentensucht?
Von einer Medikamentensucht spricht man, wenn ein Medikament trotz nachteiliger Auswirkungen auf die Gesundheit und das Sozialleben weiter eingenommen wird. Dazu gehört auch, dass mehrfach ohne Erfolg versucht wurde, mit dem Konsum aufzuhören.
Früher wurde häufig zwischen einer physischen Abhängigkeit und einer psychischen Abhängigkeit unterschieden. Bei der physischen Abhängigkeit leiden die Betroffenen unter körperlichen Symptomen, wie zum Beispiel Schlaflosigkeit nach Absetzen von Schlaftabletten. Treten mehrere Symptome auf, ergeben sie das Abhängigkeitssyndrom.
Eine psychische Abhängigkeit bedingt den fortgesetzten Konsum der Substanz, wenn psychische Entzugssymptome auftreten. Die psychischen Entzugssymptome wie innere Unruhe, Stimmungsabfall oder Gereiztheit können ebenso unerträglich für die Betroffenen sein wie physische Entzugssymptome.
Angehörige von Betroffenen verspüren natürlich oft den Wunsch, die Beschwerden der süchtigen Person zu lindern. Das kann dazu führen, dass die Betroffenen beim Arbeitgeber oder bei sozialen Terminen entschuldigt werden oder dass Medikamente für die Person besorgt werden. Ermöglicht oder erleichtert das Verhalten der Angehörigen den Konsum, spricht man von einer Co Abhängigkeit.
Zu den Medikamenten, die am ehesten zu einer Medikamentensucht führen, gehören unter anderem Beruhigungsmittel, Schmerzmittel, Abführmittel, Stimulanzien und nicht-verschreibungspflichtige Hypnotika. Ca. 1,9 Millionen Menschen sind laut dem „Jahrbuch Sucht 2017“ der deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Deutschland medikamentenabhängig.
Ab wann spricht man von einer Medikamentensucht
Eine Medikamentensucht wird dann diagnostiziert, wenn die Betroffenen innerhalb der letzten zwölf Monate mindestens drei der folgenden Kriterien erfüllen:
- Es lässt sich eine Toleranzsteigerung erkennen. Das bedeutet, die Dosis des Medikamentes wird entweder gesteigert oder die Person spürt weniger von der Wirkung des Medikamentes bei derselben Dosis.
- Die Betroffenen zeigen entweder Entzugssymptome oder konsumieren das Medikament, um eben dies zu vermeiden.
- Die Personen nehmen entweder häufig größere Mengen des Medikamentes ein oder sie konsumieren das Medikament über einen längeren Zeitraum als verschrieben.
- Die Betroffenen verspüren den anhaltenden Wunsch, den Konsum zu verringern oder zu kontrollieren oder es gab schon mehrere erfolglose Versuche, dies zu erreichen.
- Die Beschaffung, der Konsum oder die Erholung von dem Medikamentenkonsum beansprucht sehr viel Zeit.
- Die Personen schränken wichtige Aktivitäten im Beruf, in der Freizeit oder bei sozialen Kontakten ein.
- Die Personen nehmen das Medikament weiter zu sich, obwohl sie sich der negativen psychischen und/oder physischen Konsequenzen bewusst sind.
Bemerken Sie bei sich oder einem Angehörigen einige der obenstehenden Merkmale, sollten Sie handeln. Der erste Ansprechpartner kann hier der Hausarzt sein. Aber auch Beratungsstellen für Suchtkranke bieten sich als erste Anlaufstelle an.
Welche Symptome deuten auf eine Medikamentenabhängigkeit hin?
Menschen, die von einer Medikamentensucht betroffen sind, beschäftigen sich gedanklich immerzu mit der Medikamenteneinnahme. Sie richten zum Beispiel ihren Tagesablauf nach der Einnahme des Medikamentes aus. Häufig vernachlässigen sie dafür soziale Kontakte oder andere wichtige Termine.
Bei älteren Menschen, die ohnehin verschiedene Medikamente über den Tag verteilt einnehmen, ist eine vorausschauende Planung des Alltags mit Einbeziehung der Medikamenteneinnahme nicht unüblich. Haben Sie jedoch das Gefühl, dass der Medikamenteneinnahme ein zu großer Stellenwert zugeschrieben wird, sollten Sie hellhörig werden.
Häufig werden bei Medikamentensucht die Medikamente für Beschwerden eingesetzt, für die sie überhaupt nicht gedacht sind – zum Beispiel Schmerzmittel als Einschlafhilfe. Viele Betroffene, denen ihre Sucht bewusst ist, geben sich viel Mühe, die Sucht zu verstecken. Gerade bei verschreibungspflichtigen Medikamenten kommt es häufig vor, dass jemand bei mehreren Ärzten vorstellig wird, um die Abhängigkeit zu verheimlichen.
Bei einer fortgeschrittenen Medikamentenabhängigkeit kommt es häufig zu folgenden Symptomen:
- Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen
- Einer verringerten Leistungsfähigkeit
- Gleichgewichts- und Bewegungsstörungen (wie zitternden Händen usw.)
- Verdauungsbeschwerden.
Bei manchen Medikamenten kann es außerdem zu folgenden Symptomen der Medikamentensucht kommen:
- Schlafstörungen
- Depressionen
- Persönlichkeitsänderungen
- Stimmungsschwankungen
- Panikstörungen
- Innerer Unruhe
Von welchen Medikamenten kann man abhängig werden?
Besonders häufig führen Schlafmittel, Beruhigungsmittel und Schmerzmittel zu einer Medikamentenabhängigkeit. Außerdem werden häufig Abführ- und Entwässerungsmittel missbraucht, sowie alkoholhaltige Arzneimittel und Stimulanzien. Auch nicht-verschreibungspflichtige Hypnotika stehen oft im Zentrum einer Medikamentenabhängigkeit.
Unter den Schlafmitteln sind besonders die Barbiturate, die das zentrale Nervensystem hemmen, gefährlich. Barbiturate werden allerdings hauptsächlich zur Narkose bei Operationen eingesetzt und sind außerhalb des Operationssaales kaum noch im Einsatz. Bei Schmerzmitteln fallen die Opiate und Opioide als Suchtmittel auf und bei Beruhigungsmitteln die Benzodiazepine.
Diese Medikamentengruppen werden im Alter aufgrund von altersbedingten Vorerkrankungen häufiger verschrieben. Daher steigt auch die Gefahr, im Alter eine Abhängigkeit von diesen Medikamenten zu entwickeln.
Nimmt Ihr Angehöriger Medikamente aus einer oder mehrerer dieser aufgeführten Medikamentengruppen und machen Sie sich Sorgen über eine mögliche Medikamentensucht, suchen Sie am besten zunächst das Gespräch mit Ihrem Verwandten. Anhand der Reaktion sehen Sie, wie kooperativ dieser ist. Bei geringer Kooperation kann es ratsam sein, die Situation im Blick zu behalten und bei Anzeichen einer Medikamentensucht Hilfe zum Beispiel bei Selbsthilfegruppen zu suchen.
Erhöhen verschiedene Medikamente die Wahrscheinlichkeit einer Abhängigkeit?
Die häufigsten Medikamentenabhängigkeiten entstehen im Zusammenhang mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln sowie Schmerzmitteln. Beruhigungs- und Schlafmittel fallen wie auch Anregungsmittel und Antidepressiva in die Kategorie der Psychopharmaka. Diese weisen ein hohes Suchtpotential auf.
Wenn Menschen fünf oder mehr Medikamente parallel einnehmen, spricht man von einer „Polypharmazie“. Bei den meisten älteren Menschen liegt eine solche Polypharmazie vor. Dies begünstigt unerwünschte Wechselwirkungen der Medikamente. Häufig werden die einzelnen Medikamente dann nicht mehr wie vorgesehen eingenommen oder weiterhin verschrieben, auch wenn sie nicht mehr benötigt werden.
Nicht nur die Patienten verlieren hier schnell den Überblick. Behandeln mehrere Ärzte denselben Patienten, wenn zum Beispiel unterschiedliche Fachärzte hinzugezogen werden, wissen die einzelnen Ärzte oft nicht von allen Medikamenten, die ein Patient einnimmt.
So werden Wechselwirkungen übersehen oder Medikamente zu lange verschrieben. Darum ist es wichtig, bei Bedenken mit den behandelnden Ärzten zu sprechen und eventuell einen Medikationsplan zu führen.
Was kann man tun bei Verdacht auf eine Medikamentensucht?
Sprechen Sie Ihren Arzt oder Ihren Apotheker an. Lassen Sie sich genau erklären, welches Medikament Sie oder Ihr Angehöriger eigentlich genau einnehmen, welche Nebenwirkungen auftreten können und welche Risiken bestehen. Lassen Sie sich Informationen zu Alternativen geben.
In manchen Fällen gibt es auch arzneilose Möglichkeiten zur Verbesserung des Gesundheitszustandes. Eine gesunde und ausgewogene Ernährung zum Beispiel kann dabei helfen, Krankheiten vorzubeugen oder Beschwerden zu lindern. Ebenso kann regelmäßige Bewegung zur allgemeinen Verbesserung der Gesundheit beitragen und gegen Depressionen helfen.
Machen Sie sich Gedanken um einen Angehörigen oder eine Ihnen nahestehende Person, sprechen Sie denjenigen an. Schildern Sie die Gründe für Ihre Besorgnis und bitten Sie die Person, mit ihrem Arzt darüber zu sprechen. Dieses Gespräch kann auch mit Ihnen zu dritt erfolgen.
Welche Möglichkeiten gibt es, wenn eine Medikamentensucht besteht?
Zunächst sollten Sie sich bewusst sein, dass eine Medikamentenabhängigkeit ein schleichender Prozess ist. Sie entwickelt sich langsam und ist vor allem in den frühen Stadien schwer zu erkennen.
Machen Sie daher weder sich noch gegebenenfalls dem Betroffenen Vorwürfe. Es gibt viele Beratungsstellen für unterschiedliche Suchtformen, so auch für eine Medikamentensucht. Ihr Arzt berät Sie dabei gerne.
Insbesondere Selbsthilfegruppen sind eine gute Möglichkeit, Hilfe und Verständnis zu finden. Hilfe bei der Suche nach einer passenden Selbsthilfegruppe finden Sie hier.
Quellen:
https://www.drogenbeauftragte.de
https://www.suchthilfeverzeichnis.de
https://www.medikamente-und-sucht.de
Bücher:
Brinkmann, R. (2014). Angewandte Gesundheitspsychologie (1 ed.). Pearson Deutschland GmbH.
Wittchen, H.-U., & Hoyer, J. (2011). Klinische Psychologie & Psychotherapie (2 ed.). Springer Verlag.